Vom Toktern im Tösstal
Vor gut sechzig Jahren hat sich mein ältester Bruder eine Stechgabel durch den Fuss gerammt. Die Eltern waren nicht zu Hause, also haben wir vier anderen Brüder den Verletzten auf den Leiterwagen gehievt und sind zum Dorfarzt gerast. Der hiess Dr. Duttweiler und wir kannten ihn gut. Bei seinen täglichen Krankenbesuchen in der weitläufigen Gemeinde Turbenthal verwendete er nämlich gerne seinen Volvo 122 S. Und wir Kinder durften da jeweils häufig mitfahren. Die Praxis hatte er direkt an der Dorfstrasse, ein zweiter Dorfarzt residierte ein paar hundert Meter weiter dorfabwärts. Diese Praxis führte später der Dr. Wehrli, den man häufig im Dorf per Velo und mit lederner Arzttasche sah. Ihm gelang es vor einigen Jahren, seine Praxis an einen jungen, engagierten Arzt weiterzugeben. Dieser verliess später das altehrwürdige Arzthaus und eröffnete eine moderne und vielfältige Praxis in gediegenen ehemaligen Bankräumen. In dieser Gemeinschaftspraxis arbeiten heute mehrere Ärzte und Ärztinnen, teilweise auch in Hausarztpraktikums. Eine Erfolgsgeschichte also. Andererseits zahlte der Arzt selbst einen hohen Preis, die Riesenmenge an Arbeit, Innovationskraft und Verantwortung schlug sich in der persönlichen Gesundheit nieder.
Die andere Praxis vom eingangs erwähnten Dr. Duttweiler hingegen erlebte einen anderen Weg. Zunächst übernahmen zwei Folgegenerationen der Arztfamilie die Praxis, auch hier wurde ein Neubau realisiert. Vor zwei Jahren allerdings wurde die Praxis Knall auf Fall ohne Nachfolgeregelung geschlossen. 2023 übernahm dann der einschlägig bekannte Finanzhasardeur Dr. Haehner die Praxis und ritt sie sogleich ins Verderben. Zwei Arztpraxen also in Turbenthal – und zwei Wege, wie sie weitherum nur zu bekannt sind. Mancherorts gelingt der Übergang in eine moderne Form der Dorfpraxis. Vielfach aber finden sich keine Nachfolgelösungen und Dorfpraxen gehen ein. Teils langjährige Patientinnen und Patienten bleiben dann ohne verlässliche medizinische Betreuung zurück. Ähnlich ist das Bild im Spitalbereich. Nach einem übermotivierten Einsatz im lokalen Grümpelturnier war es für mich selbstverständlich, dass der Kreuzbandriss im Spital Bauma behoben wurde. Spital Bauma? Spital Wald? Tösstaler und Tösstalerinnen müssen heute nach Winterthur, Uster oder (momentan noch) Wetzikon reisen.
Wir stellen uns im Tösstal und Zürcher Oberland also viele Fragen zum Gesundheitsbetrieb. Eigentlich müssten Dorfpraxen ja sichere und lukrative KMU-Betriebe sein. Alle brauchen sie. Sie können nicht ausgelagert werden. Der persönliche Kontakt und die Qualität der Betreuung sind von zentraler Bedeutung. Warum wollen viele junge Medizinerinnen und Mediziner diesen Weg nicht mehr gehen? Wo ist hier die Ausbildung gefordert, wird nicht das Wichtige oder das Richtige vermittelt? Und ist eine Dorfpraxis nicht kostengünstiger als der direkte Besuch in der Notfallstation in Winterthur? Da müsste also die Politik auch bestrebt sein, lokale Lösungen zu unterstützen. Und der besorgte Blick nach Wetzikon – was läuft da eigentlich? Ist es kostenmässig sinnvoller, einen voll funktionierenden und ausgelasteten Spitalbetrieb an die Wand zu fahren? Oder brauchen wir vielleicht wirklich immer weniger Spitäler dieser Grösse? Und warum ist alles so teuer geworden? Sind wir Alten schuld, weil wir verbissen gesund bleiben wollen? Ist es ein unumkehrbares Naturgesetz, dass Wachstum selbstverständlich auch den Gesundheitsbereich und die entsprechenden Kosten umfasst? Fragen über Fragen.
Ob die SP hier Antworten hat – das interessiert uns an der Mitgliederversammlung in Turbenthal. Wir freuen uns auf Andreas Daurù, Gesundheitspolitiker von Format. Und auf Beat Gloor, für mich Inbegriff eines guten Tokters aus dem Tösstal. Genug aber haben wir vom unguten Toktern im Gesundheitsbereich.